19.06.2025: Das Mobbing-Tagebuch – Nützliches Instrument oder schädlicher Irrweg?

1.Was ist ein Mobbing-Tagebuch überhaupt?
Ein Mobbing-Tagebuch ist eine persönliche Dokumentation von Vorfällen am Arbeitsplatz, bei denen sich jemand gemobbt fühlt. Betroffene notieren dabei möglichst genau, was wann passiert ist – oft in der Hoffnung, dies später vor Gericht als Beweismittel nutzen zu können. Doch hier beginnt bereits das Problem.


2.Juristische Einordnung: Kein Beweismittel im Sinne der ZPO

Nach der Zivilprozessordnung (ZPO) gibt es genau definierte Beweismittel:

- Zeugen

- Urkunden (öffentlich oder privat, z. B. Verträge)

- Sachverständige

- Augenschein

- Parteivernehmung (der Gegenseite)

Ein selbstverfasstes Mobbing-Tagebuch fällt in keine dieser Kategorien. Es ist weder eine Urkunde im rechtlichen Sinne noch ein objektives Beweismittel. Vielmehr handelt es sich um Parteivortrag – also eine subjektive Darstellung des Geschehens durch die betroffene Partei. Das bedeutet: Die Gegenseite – in Mobbingfällen meist der Arbeitgeber – kann einfach bestreiten, dass die Vorfälle so stattgefunden haben. Das Tagebuch wird dann allenfalls der freien Beweiswürdigung durch das Gericht unterzogen – mit oftmals enttäuschendem Ergebnis für die betroffene Person.


3.Wann kann ein Mobbing-Tagebuch trotzdem hilfreich sein?

Ein Mobbing-Tagebuch kann trotzdem eine unterstützende Rolle spielen – wenn es richtig geführt wird. Es sollte nicht bloß eine subjektive Beschreibung sein, sondern konkret auf andere Beweismittel hinweisen. Das Tagebuch wird damit zu einer Art „Beweis-Sammlung“. Folgende Angaben sollten enthalten sein:

1. Datum, Uhrzeit und Ort des Vorfalls

2. Anwesende Personen – mit vollständigem Namen (sofern bekannt)

3. Beschreibung des Vorfalls – idealerweise in Ich-Form und direkter Rede

4. Gesundheitliche Auswirkungen (optional, aber hilfreich)

5. Zeugen – etwa Kolleg*innen, Ehepartner oder Ärzt*innen, die Auswirkungen bestätigen können

Zusätzlich gilt: Wer gesundheitlich betroffen ist, sollte zeitnah ärztliche Hilfe suchen. Ein Attest kann ein echtes Beweismittel sein – anders als das Tagebuch.


4.Vorsicht vor Ausschlussfristen!

Ein häufig übersehenes Problem: In vielen Arbeits- oder Tarifverträgen existieren Ausschlussfristen. Wer zum Beispiel Lohnnachzahlung oder Schadensersatzansprüche geltend machen will, muss dies innerhalb von drei Monaten in Textform tun. Versäumt man dies – etwa weil man „erstmal alles aufschreibt“ – verliert man unter Umständen alle rechtlichen Ansprüche. Ein Mobbing-Tagebuch kann also sogar gefährlich sein, wenn es den Eindruck vermittelt, man „tue ja schon etwas“, obwohl rechtlich gar nichts passiert und im Gegenteil Fristen verstreichen.


5. Psychologische Sicht: Chronik des Leids?

Auch aus psychologischer Perspektive ist ein Mobbing-Tagebuch kritisch zu sehen. Wer täglich belastende Situationen niederschreibt, verarbeitet diese nicht zwangsläufig, sondern fokussiert sich immer wieder neu auf das Negative. Ein Tagebuch kann damit das Leid zementieren statt lindern.

Kein Zahnarzt empfiehlt ein „Schmerztagebuch“ – er sagt: „Kommen Sie in die Praxis, wir schauen uns das an.“ Ähnlich sollte es bei Mobbing sein: Hilfe suchen, aktiv werden, handeln. Nicht jahrelang dokumentieren ohne Konsequenzen.


6.Fazit: Mobbing-Tagebuch – mit Vorsicht zu genießen

Ein Mobbing-Tagebuch ist kein Beweismittel im rechtlichen Sinne. Es kann hilfreich sein, um sich Vorfälle zu merken oder als Grundlage für Gespräche mit dem Anwalt. Doch rechtlich durchsetzbar sind nur konkrete Beweise: Zeugen, Urkunden, Atteste.

Wer ein Tagebuch führt, sollte dies strategisch und beweisgestützt tun – nicht als emotionales Ventil. Wichtig ist vor allem: Fristen beachten, frühzeitig handeln und sich professionelle Hilfe holen.